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Kommentar: Gehört Diebstahl jetzt zur Kunst?

Langfinger werden von den Hörl-Figuren offenbar magisch angezogen. Mehrere dutzend der Figuren wurden augenscheinlich gestohlen. Gehört es vielleicht sogar zum Kunstwerk dazu? Fragen, die sich die Autorin stellt.

Insgesamt 115 Figuren, die Richard Wagner in sich verneigender Pose zeigen, hat Künstler Ottmar Hörl letzte Woche am Festspielhügel aufgestellt. Heute waren wir dort und haben 63 gezählt. Fast die Hälfte der Figuren ist weg. Offenbar wurden sie gestohlen, denn Ottmar Hörl selbst weiß auf unsere Nachfrage hin nichts über den Verbleib der restlichen 52 Figuren.

Diebstahl schon fast erwartet

Es ist jetzt nicht so, dass dieser Diebstahl noch eine große Überraschung wäre: Im letzten Jahr haben sich die Wagner-Figuren Hörls bei Langfingern ebenfalls großer Beliebtheit erfreut. Ottmar Hörl hat in diesem Jahr deshalb sogar ein Schild aufgestellt, um darauf hinzuweisen, dass die Figuren keineswegs bezahlt sind. Sie sind sein Eigentum und es sei sein persönlicher Verlust, wenn sie gestohlen werden, betont er immer wieder.

Dennoch hat Hörl weitestgehend auf Sicherungsmaßnahmen verzichtet. Keine Absperrung, keine Videoüberwachung, keine Alarmanlage. Das alles würde auch irgendwie den Charakter der Kunst im öffentlichen Raum zerstören. Also hat er selbst Schuld? Muss man wirklich damit rechnen? Leben wir in einer Gesellschaft, in der wir es ok finden, wenn Kunst, die im öffentlichen Raum steht, einfach mit nach Hause genommen wird?

Gestohlener Wagner allein zu Hause – ist das noch Kunst?

Jeder kann jederzeit zum Festspielhügel kommen und den sich direkt vor dem Festspielhaus verneigenden Richard Wagner sehen. Doch statt die Figuren am vom Künstler vorgesehenen Platz zu bewundern und die Installation als Ganzes auf sich wirken zu lassen, wollen manche Menschen eine der Figuren offenbar nur für sich haben. Das wäre auch eigentlich einfach und legal möglich, indem man eine der Figuren im Hörl-Shop in der Sophienstraße für 80 Euro kauft. Doch offenbar entscheiden sich viele Menschen dagegen und setzen aufs Stehlen statt aufs Kaufen. Ist das die Egozentrik unserer Zeit? Hauptsache “haben wollen”?

Wer sind die Wagner-Diebe?

Sind es Jugendliche, die sich etwas beweisen wollen, Leute, die genervt sind vom Wagner-Wahn und ein bisschen ärgern wollen? Oder sind es gut situierte Bayreuther, die sich normalerweise immer an alle Regeln halten und nun die Chance wittern endlich mal über die Stränge zu schlagen? Vielleicht von allen ein bisschen was.

Zur Hehlerei eignen sich die Figuren übrigens nicht. Denn die Bohrlöcher an ihrer Unterseite zeigen deutlich, dass es sich um eine der Figuren am Festspielhügel handelt. Als echte Mutprobe eignen sie sich ebenfalls kaum. Denn sie zu stehlen ist wirklich einfach. Sie sind lediglich mit einer Stange in den Boden gesteckt. Sie rauszuziehen schafft jedes Kind.

Also ist der Diebstahl vielleicht sogar Teil der Kunst?

Bleibt die Frage, ob Menschen durch ihren Diebstahl das Kunstwerk zerstören (und damit auch bewirken, dass Ottmar Hörl irgendwann die Nase voll hat von Bayreuth); oder ob der Diebstahl der Figuren vielleicht sogar ein Teil der Kunst ist. Vielleicht gehört es zur Gesamtinstallation, dass Menschen sich nachts anschleichen, die Figuren heimlich in ihren Beuteln verschwinden lassen und zu Hause im Garten wieder aufstellen. Vielleicht wird gerade so Wagner unters Volk gebracht. Eine Installation des sich verneigenden Wagners verteilt nicht nur auf dem Grünen Hügel, sondern auf die ganze Stadt: Als würde das Kunstwerk nachdem der Künstler es vollendet hat, von der Stadtgesellschaft weiterentwickelt werden. Vom Grünen Hügel ins Kräuterbeet und in den Topf der Yucca Palme.

Vielleicht wird aus den Diebstählen, ohne dass Hörl es vermutlich geplant hat, eine erfolgreiche Marketingkampagne. Denn soviel wie über die Hörl-Figuren in Bayreuth schon berichtet wurde und weiterhin wird, würde ohne die Diebstähle sicherlich nicht geredet werden. Ottmar Hörl ist gut darin, diese Aufmerksamkeit zu nutzen.

Bayreuth-Langfinger-City?

Doch selbst wenn Hörl das Reden über die Diebstähle vielleicht sogar nützt. Dem Ansehen Bayreuths erweist der Ruf als Langfinger-City einen Bärendienst. Doch wer weiß, vielleicht hat Ottmar Hörl vorgesorgt. Dank moderner Technik wäre das Finden der Figuren, wenn sie vorher mit GPS-Trackern ausgestattet wurden, kein Problem. Vielleicht also werden einige Diebe noch ihr blaues Wunder erleben, wenn Ottmar Hörl durch die Stadt fährt und seine Figuren im ganzen Stadtgebiet wieder einsammelt. Wer weiß…..