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Experteninterview

Friedlich vereint und doch korrupt: Sport bringt die Völker zusammen

Wenig Dinge auf der Welt haben ein so großes Potential die Völker zu vereinen, wie der Sport, meint der Bayreuther Professor Markus Kurscheidt. Doch wir müssen auch über Moral sprechen. 

Sportgroßereignisse wie zuletzt die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland oder aktuell die Olympischen Spiele in Frankreich ziehen weltweit Millionen Menschen in ihren Bann. Die Zuschauer fiebern mit, die Stimmung ist ausgelassen, und es wird gefeiert. Der Sport schafft es, Menschen auf der ganzen Welt zu vereinen.

Der Sport als politisches Instrument

Doch der Sport ist auch Spielball der Welt- und Geopolitik, betont Markus Kurscheidt, Professor an der Uni Bayreuth im Bereich Sportwissenschaft. Es gibt kaum eine vergleichbare Gelegenheit, wenn man für sich und seine Sache werben will, betont er. Sport nützt dem Image. Und so ist es auch kein Wunder, dass es schon lange nicht mehr nur um die Bewegung und die Begeisterung an sich geht, sondern Korruption die Oberhand gewinnt. Sportgroßereignisse seien besonders anfällig für Korruption, da sie große Aufmerksamkeit auf sich ziehen, betont Kurscheidt.

Korruption und internationale Verbände

Es bedarf großer individueller und institutioneller Stärke, um Korruption zu widerstehen, betont er. “In freiheitlichen Demokratien sind wir da weniger anfällig und damit haben wir natürlich einen großen ‘Nachteil’: Wir können und wollen nicht so durchregieren wie andere Systeme”, so Kurscheidt. Dies gelte im Sport genauso wie bei kriegerischen Auseinandersetzungen.

Widerstand in Deutschland

Ein Legacy-Konzept ist heute unerlässlich. Wer sich um die Austragung der Olympischen Spiele bewirbt, muss zunächst nachweisen, wie die Anlagen nachhaltig genutzt werden und wie Nachteile für die Bevölkerung ausgeglichen werden. München profitiert zum Beispiel noch heute von den Anlagen, die im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 gebaut wurden. Doch die letzten Male, als Olympische Spiele in Deutschland geplant waren, wurden sie wegen Kritik aus der Bevölkerung dann doch nicht nach Deutschland geholt. In anderen Ländern wird die Bevölkerung dagegen gar nicht gefragt.

Die Rolle des IOC und der FIFA

Das IOC hat sich weiterentwickelt und verfolgt mittlerweile eine wertebasierte Governance, auch wenn noch mehr Fortschritte wünschenswert wären, meint Kurscheidt. Im Gegensatz dazu steht die FIFA, bei der ein systematischer Prozess zur Korruptionsbekämpfung noch weitestgehend aussteht.

Der neue Kalte Krieg im Sport

Sport war und ist Schauplatz des Kampfes der Systeme. Das sei nicht neu, so Kurscheidt, und er verweist auf den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau und als Reaktion darauf in Los Angeles. Dass Sport auch politisch ist, ist bekannt. Die Professionalität, mit der die Systeme heute aufgebaut sind, ist allerdings bemerkenswert.

Beispiele aus der Vergangenheit

Die Meisterschaften in Katar und Russland haben gezeigt, dass wir als Westen durchaus gerne die Augen verschließen, wenn sich die Standards in anderen Ländern von unseren unterscheiden. Wir protestieren zwar kurz, aber echte Konsequenzen werden kaum gezogen. Am Ende haben die Spieler in Katar wegen des Verbots dann doch auf ihre Regenbogen-Armbinden verzichtet. Und aus Protest gegen die Unterdrückung von Frauen und Homosexuellen und die Ausbeutung tausender Arbeitskräfte nicht am Turnier teilzunehmen, war offenbar keine Option für das Team. Der Protest ist verhallt.

Geld vor Moral?

In 10 Jahren soll die Fußball-Weltmeisterschaft in Saudi-Arabien stattfinden. Auch wenn dort ähnliche Verhältnisse herrschen wie in Katar: Auch dort vermutet Kurscheidt nur symbolischen Widerstand der Sportler und Funktionäre gegen die dort herrschenden Gepflogenheiten. Saudi-Arabien als zukünftiger Austragungsort zeigt, dass alternative Wertesysteme immer wieder akzeptiert werden. Trotz Kritik gibt es kein klares Statement. “Solange wir uns erpressen lassen, wird sich nichts ändern”, sagt er und hofft, dass eines Tages jemand kommt, der das System von innen heraus revolutioniert.

Bis es soweit ist, müssen wir alle wohl damit leben, dass mit Geld die Strippen im Hintergrund gezogen werden. Kurscheidt appelliert, nicht zu viel Verantwortung für gesellschaftliche Prozesse auf den Sport zu übertragen. „Nur weil der Sport diese große Aufmerksamkeit genießt, dürfen wir die großen gesellschaftlichen Debatten nicht dem Sport aufoktroyieren“, so Kurscheidt. An den Sportlern und ihren herausragenden Leistungen können und sollten wir uns ganz unabhängig von den Hinterzimmergeschäften erfreuen.