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Bayreuth

Mordprozess zum Fall Rebecca S.: Angeklagter äußert sich

Am Freitag hat der Prozess um die getötete 18-jährige Rebecca S. begonnen. Am ersten Prozesstag hat der Angeklagte Leon D. eine umfassende Aussage gemacht.

Etwa 40 Zuschauerinnen und Zuschauer haben sich im Schwurgerichtssaal des Landgerichts eingefunden, dazu kommen einige Vertreter auch überregionaler Medien. Die Staatsanwaltschaft Bayreuth wirft dem 19-Jährigen Leon D. vor, seine 18-jährige Ex-Freundin Rebecca S. am 24. Mai 2024 in ihrem Zuhause in Bindlach aufgesucht und ermordet zu haben. Als Mordmerkmale werden niedere Beweggründe und Heimtücke genannt. Rebeccas Eltern sind als Nebenkläger mit im Gerichtssaal.

Jugendkammer berät über Ausschluss der Öffentlichkeit

Verteidiger Hilmar Lampert verliest einen Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit. Das sei möglich, wenn es im Interesse eines Heranwachsenden geboten sei. Leon D. sei sehr labil. Er wolle sich umfassend äußern, könne aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit freier sprechen.

Die Staatsanwaltschaft sieht diese Bedingungen nicht gegeben. Der Angeklagte werde durch die Öffentlichkeit nicht gefährdet. Dem stimmt die Jugendkammer nach etwa einstündiger Beratung zu. Das öffentliche Interesse wiege schwerer als etwaige entwicklungspsychologische Nachteile.

Angeklagter: “Es stimmt, dass ich Rebecca getötet habe”

Dann nimmt Leon D. seinen Platz im Zeugenstand ein. Über die nächsten Stunden hinweg wird er dem Gericht seine Sicht auf die Beziehung zu Rebecca S. und die Tat schildern. Ob der Vorwurf gegen ihn stimme, fragt Richterin Andrea Deyerling. Leon D. spricht leise und zurückhaltend: “Es stimmt, dass ich Rebecca getötet habe. Aber es stimmt nicht, dass ich das geplant habe.” Die Beziehung sei für beide die erste gewesen. Anfangs habe er sie als schön empfunden, dann sei es immer wieder zu Streits gekommen, die er für unbegründet gehalten habe. Dabei sei es zum Beispiel darum gegangen, welche Handymarke am besten sei. Wenn er nicht zugegeben habe, dass er im Unrecht gewesen sei, habe Rebecca ihn gekratzt oder geohrfeigt. Sie habe gedroht, ihn als gewalttätigen Freund darzustellen, wenn er darüber mit jemandem sprechen würde.

Angeklagter beschimpfte Freundin per Chat

Wie sich denn die Chat-Nachrichten erklären ließen, in denen Leon D. Rebecca S. aufs Übelste beschimpft habe, fragt Richterin Deyerling. In der persönlichen Konfrontation sei er also defensiv, in der schriftlichen aggressiv gewesen? Ja, er habe so Druck abbauen wollen, der sich in den persönlichen Streits aufgestaut habe, sagt Leon D. Das sei ihm erst jetzt wieder bewusst geworden.

Die Trennung im Herbst 2023 sei von Rebecca ausgegangen und für Leon sehr plötzlich gekommen. Er habe nicht verstanden, warum sie keine Gefühle mehr für ihn habe. Am Anfang habe er sie noch zurückgewollt, dann habe er eingesehen, dass sie sich als Paar nicht gut getan hätten. Dass Rebecca etwas mit anderen Männern anfängt, habe er trotzdem nicht sehen wollen.

Leon D.: Ich hatte Angst, dass ich niemanden mehr habe

Sein psychischer Zustand sei schon seit längerem schlecht gewesen. Seitens seiner Familie, die ihn für ein “Wunderkind” gehalten habe, habe er viel Druck erfahren. Seine Leistung sei nie genug gewesen. Seit er erwachsen sei, hätten die Vorwürfe aber abgenommen. Außerdem habe er Angst gehabt, die Freundesgruppe zu verlieren, zu der Rebecca durch die Beziehung mit ihm gestoßen sei. Er habe das Gefühl gehabt, die Gruppe entscheide sich für Rebecca und gegen ihn. Rebecca und F., ein Freund von Leon D. , seien sich näher gekommen und er sei eifersüchtig gewesen. Er habe wiederholt mit Rebecca und F. gesprochen, die ihm versichert hätten, dass nichts zwischen ihnen sei. In diesem Zusammenhang habe er auch erfahren, dass die beiden ihn mehrmals angelogen hatten, weil sie Zeit miteinander verbracht hatten. “Ich hatte das Gefühl, ich kann nicht aus der Freundesgruppe raus, weil ich dann alleine bin. Aber wenn ich weiter mit meinen Freunden Zeit verbringe, bin ich immer an Rebecca gebunden”, sagt Leon D.

Die Suizidgedanken, die er schon länger gehabt habe, hätten am Tag der Tat ihren Höhepunkt erreicht, sagt Leon D. Am Abend zuvor habe er mit Rebecca das Volksfest besucht, da sei die Stimmung harmonisch gewesen. Warum er auf dem Volksfest Handschuhe getragen habe, fragt die Richterin. Wenn es ihm schlecht gehe, kratze er sich den Handrücken auf, sagt Leon D. Das habe Rebecca immer gestört. Er habe die Handschuhe getragen, um die Kratzer vor Rebecca zu verstecken. Beim gemeinsamen Volksfestbesuch habe er sie gefragt: “Wenn ich mich von dir verabschieden will, darf ich vorbeikommen?” Sie habe das bejaht, aber mit der Einschränkung, dass sie vielleicht schon schlafe, wenn es zu spät am Abend sei. “Das hat sie gesagt?” fragt die Richterin. Er sei sich unsicher, ob Rebecca ihn ernst genommen habe, sagt Leon D.

Das Gericht hört zwei Versionen der Tat

Am ersten Verhandlungstag hört das Gericht zwei Versionen des Tatabends. Beide stammen vom Angeklagten. Eine Version schildert Leon D. vor Gericht, die andere hat er in der Woche vor der Tat in die Notizen-App seines Handys getippt.

Angeklagter schildert einen “Kampf”

Nach Leons Schilderung vor Gericht wollte er sich am Tag der Tat von Rebecca verabschieden und direkt danach das Leben nehmen. Das dafür im Einkaufszentrum gekaufte Messer habe er schon dabei gehabt. Er habe in einiger Entfernung vom Haus geparkt und sei zu Rebecca gelaufen. Vor Rebeccas Haus habe er das Auto seines Freundes F. gesehen. Er habe in der Nähe des Hauses gewartet, bis F. davongefahren sei. Dann habe er geklingelt. Rebecca habe zunächst aus dem Fenster geschaut. Als er ihr gesagt habe, dass er sich verabschieden wolle, habe sie ihn hereingelassen.

Leon D. habe seine Schuhe ausgezogen und sei mit Rebecca ins Wohnzimmer gegangen. Dort hätten sie sich zunächst unterhalten, schließlich seien sie in Streit geraten. Rebecca sei wütend geworden: Er habe doch gar keinen Grund, sich umzubringen. Seine Familie unterstütze ihn, er habe einen Studienplatz, es sei doch alles gut. Er habe das respektlos gefunden. Rebecca habe ihm gesagt, dass sie nur darauf warte, bis er weg sei, damit sie eine Beziehung mit F. eingehen könne. Daraufhin habe sie ihn kratzen wollen, er habe das Messer gezogen und ihre Hand damit wegschlagen wollen. “Sie wissen aber, was passiert, wenn man jemandem mit einem Messer auf die Hand schlägt?” hakt die Richterin ein. Es sei klar, dass Rebecca sich verletzt habe, sagt Leon D. Wie die Situation weiter eskaliert sei, wisse er nicht mehr, er sehe nur einzelne Bilder vor sich.

Beschreiben kann Leon D. den Kampf also nicht, den er in Rebecca S.’ Küche erlebt haben will, nur dass es ein gegenseitiger Kampf mit zwei Messern gewesen sei, betont er. “Ich erinnere mich nicht genau”, sagt Leon D. auf sehr viele Fragen der Richterin. Was Rebecca gesagt habe? Wie der angebliche Kampf verlaufen sei? Wo er gestanden habe? Ob er das Blut bemerkt habe? Was er gefühlt habe? Auf die letzte Frage sagt Leon D. auf Nachhaken der Richterin:  Er sei traurig und wütend über das gewesen, was passiert sei. Er sei nach der Tat panisch durch das Haus gelaufen und habe im Spiegel gesehen, dass er verletzt sei. Dann habe er sich entschlossen, vor seinem Suizid Abschiedsvideos aufzunehmen. Was er in den Videos gesagt hätte, stimme nicht. Er habe damit die Schuld für den Kampf auf sich nehmen wollen. “Wessen Schuld, Rebeccas?”, fragt Richterin Deyerling. Ja, sagt Leon D.

Angeklagter im Video: “Ich bin gefühlt ein Psychopath”

Beide Videos werden im Gerichtssaal abgespielt. Rebeccas Vater sowie einige Zuschauer verlassen den Saal. Leon D. sitzt mit dem Rücken zur Leinwand, hat den Kopf auf die Arme gelegt und weint. Er spricht im Video mit blutigem Gesicht und in lockerem Tonfall, als würde er einen Vlog aufnehmen. Seine Situation führt er auf sein Elternhaus zurück, er habe nicht mehr leben wollen. Rebecca habe ihm etwas Hoffnung gegeben und sie ihm dann wieder genommen. Er habe sich gedacht, er könne sich immer noch umbringen, wenn das Gespräch mit ihr schlecht laufe. Und das wolle er nun tun. Im zweiten Video gibt Leon ein Update: Sein Suizid laufe nicht nach Plan. “Ich bin gefühlt ein Psychopath. Meine Ex-Freundin liegt unten und blutet aus und ich fühl’ gar nichts. Vielleicht bin ich einfach abgestumpft.” Er habe sich umbringen wollen und Rebecca sei da “irgendwie mit reingeraten”.

Leon D. schreibt vorab detaillierten Plan

Die Notiz vom Handy des Angeklagten erzähle eine andere Geschichte, als die vom geplanten Suizid und dem eskalierten Gespräch, so die Richterin. In der Handy-Notiz zähle Leon D. zunächst einige von Rebeccas Verfehlungen auf. Dann sei da eine Packliste: Handschuhe, Geldbeutel, Müllbeutel, Messer, Rucksack. Die Richterin liest vor, was Leon in seine Notizen-App getippt hat: Mit Handschuhen auf’s Volksfest gehen, Rebecca von Suizidgedanken erzählen, mit ihr abklären, dass er spontan vorbeikommen wolle, zu McDonald’s fahren (Alibi), weiter weg parken, klingeln, Handschuhe anhaben, ohne Schuhe rumlaufen, “Hals, Loch, Messer”, Alles an Geld und Wertsachen mitnehmen “plus meine Manga”, mit ihren Fingern so lange es geht ihr Handy bedienen, das Handy am Stadtbad oder am Bindlacher Bahnhof entsorgen, Messer im Saaser Wald verbuddeln, nach Hause fahren und “Eier schaukeln”.

Leon D.: Wollte meinen Plan nie umsetzen

Leon D. ist nach den Videos und dem Vortrag seiner Notiz sichtlich emotional. Er wisse, wie sich das anhöre, aber er habe in einem Kriminalroman gelesen, dass man Wut abbauen könne, wenn man einen Mordplan schreibe. Es sei ihm nach dem Plan besser gegangen, aber er habe den Plan nie umsetzen wollen. “Warum gehen Sie dann mit Handschuhen auf’s Volksfest, wieso fahren Sie dann zu McDonald’s, wieso machen Sie am Freitag alles so wie in diesem Plan, obwohl Sie ihn doch nicht umsetzen wollen?”, fragt die Richterin. Leon D. weint wieder: Er habe Rebecca nie etwas antun wollen. Nach einer weiteren Pause beantragt Verteidiger Hilmar Lampert, die Vernehmung von Leon D. für heute zu beenden. Der Angeklagte sei körperlich am Ende und nicht in der Lage, weitere Fragen zu beantworten. Am Mittwoch, den 16. Oktober, wird die Hauptverhandlung fortgesetzt.