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Pride Week

Queer ist natürlich: Queere Tierparkführung am Röhrensee

Der Aussage “Queersein ist unnatürlich” setzt eine queere Tierparkführung am Röhrensee etwas entgegen und macht Station bei Flamingos, Kängurus und Pfauen.

Ungefähr 30 Leute finden sich am 4. Juni 2024 am Fuß der Brücke am Röhrensee zur “Queeren Tierparkführung” ein. Die Gruppe besteht aus Menschen gemischten Alters, viele junge Leute sind dabei. Alle wollen wissen, was es im Röhrenseepark wohl für queere Tiere gibt. Letztes Jahr seien es nur etwa zehn Gäste gewesen, sagt Lena Schumann vom Verein “Queer Bayreuth”. Schumann führt heute durch die queere Tierwelt im Röhrenseepark. Die Führung gehört zum Programm der Pride Week.

Die Führung setzt der oft-gehörten Aussage “Queersein ist unnatürlich” etwas entgegen. Der Begriff “Queer” bedeutet zunächst einmal so viel wie “von der Norm abweichend”, wird aber mittlerweile als Überbegriff für viele Identitäten verwendet. Dazu gehören alle, die nicht heterosexuell sind und/oder sich nicht mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht identifizieren.

Vielfalt ist ein Grundprinzip der Evolution

Lena Schumann  beginnt die Führung mit einigen Disclaimern. Die Informationen für die Führung kommen zum Großteil aus dem Buch “Biological Exuberance: Animal Homosexuality and Natural Diversity” des kanadischen Autors Bruce Bagemihl. “Exuberance” bedeutet hier so viel wie Fülle, Üppigkeit oder Überfluss. Vielfalt und Abweichung seien Grundprinzipien der Natur und eine Grundlage der Evolution, sagt Schumann.

Die Führung ist interaktiv gestaltet, sie beginnt mit der Frage: “Kennt ihr Beispiele für queere Tiere?” Und die Gruppe kennt tatsächlich einige. Bei den Clownfischen zum Beispiel entwickelt sich das dominanteste Männchen zum Weibchen, sobald kein Weibchen mehr in der Anemone vorhanden ist. Schnecken haben zweierlei komplett ausgebildete Geschlechtsorgane und die Partnerschaft zweier männlicher Pinguine im New Yorker Zoo war vor über zwanzig Jahren schon Medienthema.

Clownfische oder Pinguine gibt es im Röhrenseepark nicht, dafür Flamingos, Kängurus und Pfauen, die heute die queere Tierwelt repräsentieren.

Queerness ist überall

Homosexuelles Verhalten scheint in der Tierwelt sehr verbreitet. Bei jeder beobachteten Tierart komme es vor, so Schumann. Homosexualität ist also doch natürlich. Eine negative Auswirkung auf die Reproduktion sei nicht zu beobachten. Zu homosexuellem Verhalten gehören neben dem “Besteigen” gleichgeschlechtlicher Tiere auch Akte, die zu Erregung führen oder die Paarung anbahnen.

Das “Besteigen” werde oft als Dominanzgeste erklärt, andere Verhaltensweisen ließen diese Erklärung aber nicht zu, so Schumann. Bei Giraffen zum Beispiel seien 60 bis 70 Prozent der Sexualkontakte homosexueller Natur. Dazu zähle beispielsweise das Aneinander-Reiben der Hälse, nicht zu Verwechseln mit dem Aneinander-Schlagen der Hälse beim Konkurrenzkampf. Als Dominanzverhalten kann das “Hals-Kuscheln” also nicht interpretiert werden.

Unsere gesellschaftlichen Normen lassen sich natürlich nicht 1:1 auf die Tierwelt übertragen. Homosexuelle Handlungen haben auch bei Menschen lange keine Identität als schwul oder lesbisch bedeutet. Tiere können uns ihre Erfahrungen ja nicht berichten, deshalb geht es in der Führung einfach um beobachtbares homosexuelles Verhalten unter Tieren. Und menschliches Verhalten aus der Natur zu rechtfertigen, funktioniere auch nicht immer, sagt Lena Schumann.

Kängurus, Flamingos, Pfauen und Ziegen zeigen queeres Verhalten

Jetzt geht es aber los! Der erste Stopp im Röhrenseepark führt zu den Kängurus. Känguru-Weibchen “besteigen” sich gegenseitig und greifen sich zwischen die Beine. Es gebe unter Kängurus auch Intersexualität, also Individuen, die sowohl das weibliche Geschlechtsmerkmal Beutel als auch das männliche Geschlechtsorgan Penis ausbilden.

Bei den Nachbarn der Kängurus, den Flamingos, wurde homosexuelles Verhalten nur in Gefangenschaft beobachtet. “Wer Naturdokus guckt, kann sich vorstellen warum”, sagt Lena Schumann. Flamingos leben in riesigen Schwärmen. Hier das Geschlecht von einzelnen Tieren zu bestimmen ist schier unmöglich.

Männliche Pärchen bauen größere Nester

Beobachtet werden konnte aber, dass Flamingo-Paare aus zwei Männchen größere Nester bauen. Das Männchen nehme also wohl generell eine aktivere Rolle im Nestbau ein. “Nicht-produktiver Sex ist häufig bei Flamingos, in Gefangenschaft sind Flamingos polysexuell. Das heißt sie paaren sich mit mehreren Partnerinnen und Partnern”, sagt Lena Schumann. Das beträfe etwa 50 Prozent der Weibchen und 80 Prozent der Männchen.

Pfauen halten scheinbar gar nichts von stabiler Geschlechterordnung. Es gebe ausgewachsene Pfauen-Weibchen, die das für Männchen typische bunte Gefieder ausbilden und auch Männchen-typische Schreie ausstoßen. Die Gründe dafür seien noch ungeklärt, sagt Schumann.

Tierzucht: Homosexuelles Verhalten ist ein Vorteil

Unter domestizierten Tieren wie Ziegen und Schafen sei homosexuelles Verhalten so häufig, dass es in der Züchtung gut bekannt sei und zum Vorteil genutzt werde. Zeigen Weibchen homosexuelles Verhalten sei klar: Die Tiere sind läufig.

Fakten wirken besser als Gefühle

Woher kommt eigentlich die Motivation, eine queere Tierparkführung anzubieten? Lena Schumann selbst hat kein Biologiestudium hinter sich, aber viel Interesse an dem Thema. Schumann hat mit Wolfgang Scheel von der Partei “Rosa Liste München” telefoniert. Er biete queere Tierparkführungen in München an.

Sie selbst habe motiviert, dass in Diskussionen übers Queersein oft Fakten viel überzeugender seien als der Aufruf zu Empathie für die Gefühlswelt queerer Menschen. Dem Argument “Queersein ist eine Mode und unnatürlich”, könne man mit einem Angebot wie der queeren Tierparkführung begegnen. Ob Lena Schumann mit Störungen und Gegenwind während der Führung gerechnet hat? Natürlich, Schumann diskutiere gerne und habe sich darauf auch vorbereitet. 

Gibt es auch homophobe Tiere?

So endet die Führung mit einer Einladung zur Diskussion. Die Frage, ob auch Homophobie bei Tieren bekannt sei, kommt auf. Werden Tiere, die homosexuelles Verhalten zeigen, ausgeschlossen? Solche Fälle seien bei der Recherche nicht aufgefallen, sagt Lena Schumann. Eine definitive Aussage lasse sich dazu aber nicht treffen. Wahrscheinlicher sei aber, dass Tiere homosexuelles Verhalten einfach als selbstverständlich hinnehmen. In dieser Hinsicht könnte sich so mancher Mensch die Tiere noch zum Vorbild nehmen.