Mensch Wagner!
Am 22. Mai jährt sich Richard Wagners Geburtstag zum 210. Mal. An seine erste Frau Minna schrieb er aus diesem Anlass einmal durchaus selbstironisch: „Im wunderschönen Monat Mai / kroch Richard Wagner aus dem Ei. / Ihm wünschen, die zumeist ihn lieben, / er wäre besser dringeblieben.“…
Er war das jüngste von acht Kindern, und es war keineswegs absehbar, was aus diesem offenbar ziemlich weichlichen und bereits mit einigem Hang zum Pathos ausgestatteten Jüngling einmal werden sollte. Seine Geschwister nannten ihn aufgrund dieser Eigenschaften jedenfalls spöttisch „Amtmann Rührei“.
In Leipzig und später Dresden wächst er als schwärmerischer Enthusiast auf, der sich für Literatur und Theater begeistert, dem aber an regelmäßiger Schulbildung nicht allzu viel liegt. Ein gewisser Hang zu Regellosigkeit, ja Anarchie stellt sich ein, zugleich aber saugt er alles, was ihn interessiert, wie ein trockener Schwamm auf. Beim Leipziger Thomaskantor Theodor Weinlig erlernt er in erstaunlichem Tempo innerhalb nur eines halben Jahres die Grundregeln der Komposition, um seine Dramen, die er schrieb und schreiben wollte, effektvoller zu gestalten. – Das ist ihm ja wirklich recht gut gelungen!
Der „mit äußerster Willenskraft ins Monumentale getriebene Dilettantismus“, wie Thomas Mann Richard Wagners Künstlertum einmal so kenntnisreich wie geistesverwandt bezeichnete, fand seine Entsprechung bald in einer Persönlichkeit, die künstlerischen Sendungseifer mit Egozentrik verband.
„Leidend und groß, wie das Jahrhundert, dessen vollkommener Ausdruck sie ist, das neunzehnte, steht die geistige Gestalt Richard Wagners mir vor Augen“, so Thomas Mann an gleicher Stelle. In der Tat, anders als das Wunderkind am Klavier, sein späterer, jedoch nur zwei Jahre älterer Schwiegervater Franz Liszt, schafft Wagner unermüdlich und unbeirrbar, jedoch nicht aus genialer Leichtigkeit, sondern unbedingtem Kunstwollen.
Doch der Titan ist vor allem eins: Mensch. In ihm erblicken wir kein überirdisches, göttergleiches Genie mit lorbeerumkränztem Haupt, sondern – wieder der unvergleichliche Thomas Mann – den „schnupfenden Gnom aus Sachsen mit Bombentalent und schäbigem Charakter“. Nur 168 cm groß, mit nicht gerade ebenmäßig-klassischen Gesichtszügen, die von dem notorischen Kinnbart gerahmt werden, welchen er der Mode der Jahrhundertmitte folgend bis zum Ende und damit selbst in einer Zeit auf anachronistische Weise trägt, als der Rauschebart den Mann machte, der Freude an Kostümierung und Parfümierung, karikaturenträchtig und stets kränkelnd, ist seine Erscheinung eher grotesk als groß – und doch zugleich charismatisch und bewegend.
Cosima Wagner notiert in ihren Tagebüchern zudem jede Unpässlichkeit, jeden „Diätfehler“, Verdauungsprobleme und Alpträume des „Meisters“, so dass eine Nähe entsteht, die unbehaglich werden kann. Das „Menschliche, Allzumenschliche“, um mit dem anderen großen kritischen Wagnerianer Friedrich Nietzsche zu sprechen, macht jedoch gerade einen guten Teil der Faszination aus, die von Wagners Persönlichkeit ausgeht. Kein Gott, sondern ein Mensch, wohl ein besonders begabter, aber eben doch mit allen Eigenarten und Eigentümlichkeiten ausgestatteter Mensch hat dieses unvergleichliche Werk sich und seiner Zeit abgerungen.
„Mensch, Wagner!“, möchte man ihm vor allem auch angesichts der vielen Fragwürdigkeiten, Eitelkeiten, Hässlichkeiten seines Charakters zurufen, doch sind das wohl die Schlagschatten einer Menschlichkeit, welche das helle Sonnenlicht des Grandiosen in besonderer Weise auf deren Kehrseite wirft. Und so soll ab 14. Juli der „Mensch Wagner“ das Thema der diesjährigen Sonderausstellung im Richard Wagner Museum sein.
zum Autor
Dr. Sven Friedrich
ist Theater-, Literatur- und Kommunikationswissenschaftler. Seit 1993 leitet er in Bayreuth das Richard Wagner Museum mit Nationalarchiv und Forschungsstätte der Richard-Wagner-Stiftung, das Franz-Liszt- und das Jean-Paul-Museum.